12. Januar 2014

Koalitionsvertrag Große Koalition – Verkehrswende bleibt aus und Infrastrukturfinanzierung ist nicht gesichert

Geld

Nach einer langen Phase der Koalitionsverhandlungen ist die neue Merkel-Regierung seit über einem Monat im Amt. Der Zeitpunkt scheint günstig für eine Prognose, was im Verkehrssektor bis 2017 passieren wird. Der Bereich hat durch Themen wie Stuttgart 21, den Berliner Flughafen und vor allem durch Schäden verursachte Sperrungen einiger Rheinbrücken in NRW eine große Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gewonnen. Dies ist anhand der strukturellen Probleme in diesem Bereich überfällig. Der Sanierungsstau in der Infrastruktur ist eine reale Gefahr für viele Standorte, auch und gerade in NRW. Im Verkehrssektor ist von den Vorgängerregierungen zusätzlich am stärksten versäumt worden, nachhaltige und klimafreundliche Wege einzuschlagen. Die Große Koalition gibt öffentlich an, diese Problem erkannt und mit ihrem Koalitionsvertrag gelöst zu haben. Anhand der Themen Klimaschutz und Infrastrukturfinanzierung gilt es zu fragen: Stimmt das?

Verkehrswende? Fehlanzeige!

CDU SPD und CSU verstehen Verkehrspolitik fast ausschließlich als Instrument der Wirtschaftspolitik. Es gibt keinerlei Ziele, nein, oft noch nicht einmal Prosa zu einer nachhaltigen und klimafreundlichen Mobilität. Es handelt sich sozusagen ein Worst-Of schwarzer und roter Verkehrspolitik der letzten 20 Jahre. Verbraucherpolitik (Fahrgastrechte) fehlt ebenfalls völlig. Positive Ansätze beim Lärmschutz an Schienen und Autobahnen werden durch Ignoranz der von Fluglärm Geschädigten konterkariert. Auch der Radverkehr wird nicht mit konkreten Zielen unterstützt – man solle allerdings einen Helm tragen.

Auch das Thema Energiewende im Verkehr findet nicht statt. Kein Wort zu Verbrauchsgrenzwerten, BMW findet also auch auf nationaler Ebene seine Interessen gut vertreten. Das Kapitel zum Luftverkehr ist in vielen Punkten von der Luftfahrtlobby übernommen. Die Absage an mehr Nachtflugverbote zeigt, dass Union und SPD sich in dieser Frage kaum unterscheiden. Die im Vertragsentwurf geplante Abschaffung der Luftverkehrssteuer hat letztlich die Finanzarbeitsgruppe gestrichen. In Anbetracht der wettbewerbsverzerrenden Steuervorteile der Luftfahrt und dem Finanzierungsdefizit im Sektor allerdings dennoch ein deutlich wahrnehmbares Signal, wohin die schwarz-gelbe Reise gehen soll.

Infrastruktur Sanierungsstau

Die Daehre- wie jüngst auch die Bodewig-Kommission haben im Auftrag der Verkehrsminister des Bundes und der Länder das gesamte Ausmaß des Sanierungsstaus in der Infrastruktur deutlich gemacht und Wege zur Lösung aufgezeigt. Ergebnis der Analysen: Jedes Jahr fehlen derzeit rund 7,2 Mrd. Euro zusätzlich, um die Infrastruktur aller Verkehrsträger in Bund, Ländern und Kommunen zu erhalten. Bundesverkehrsminister Ramsauer sprach im Wahlkampf von 4 Milliarden Bedarf im Jahr, den er alleine in seinem Zuständigkeitsbereich sieht.

Die Kommissionen forderten Maßnahmen umzusetzen, die dafür sorgen, dass mehr Geld für Infrastruktur-Sanierung in die Kassen kommt. Diese Gelder sollten in einen Bundesfonds eingezahlt werden, der nicht dem Jährlichkeitsprinzip des Haushaltes unterliegt und aus dem die Mittel 1:1 in die Sanierung fließen. Weiter empfahl die Bodewig-Kommission eine Ausweitung der LKW-Maut auf Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen, die auf allen überörtlichen Straßen erhoben wird. Es sollte das Verursacher-Prinzip gelten: Lkw und Busse verursachen mehr als 95 Prozent der Schäden an unseren Straßen und Brücken.

Finanzierungslücke nicht geschlossen

CDU/CSU und SPD sprechen im Koalitionsvertrag davon, eine „verlässliche Finanzierungsgrundlage“ geschaffen zu haben. Sie wollen „in den nächsten vier Jahren die Bundesmittel für Verkehrsinfrastruktur substanziell erhöhen“ und diese „durch zusätzliche Mittel aus der Nutzerfinanzierung durch LKW ergänzen.“ Die bestehende LKW-Maut werde dazu „auf alle Bundesstraßen ausgeweitet“ und weiter entwickelt. „Netto-Einnahmen aus der Nutzerfinanzierung“ sollen „ohne Abstriche“ in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden. Auch die Einnahmen einer PKW-Maut für „Halter von nicht in Deutschland zugelassenen PKW“ (mit der Maßgabe, dass kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute und sie europarechtskonform ist) sollen direkt ins Netz fließen. Im Kapitel Finanzierung ist die Zusage zu finden, dass für die Investitionen in die öffentliche Verkehrsinfrastruktur „insgesamt fünf Milliarden Euro zusätzlich mobilisiert“ werden, was jährlich in der Laufzeit des Koalitionsvertrags 1,25 Milliarden Euro bedeutet. Diese Summe ist nicht gegenfinanziert und wird allein bei weitem nicht ausreichen.

LKW- und PKW Maut

Die Aussagen zur realen künftigen Ausgestaltung der LKW-Maut sind sehr vage. Die Bodewigkommission hat die verschiedenen Formen einer Maut-Ausweitung durchgerechnet und dabei die Einnahmen durch Ausweitung auf Bundesstraßen auf 2,3 Milliarden Euro jährlich beziffert. Allerdings hat die Kommission ebenso festgestellt, dass das System erst drei Jahre nach einem Beschluss startfähig wäre und Einnahmen generieren könnte, das Geld steht also bestenfalls erst 2016 zur Verfügung – also erst Ende der Legislatur der großen Koalition.
Die Einnahmeerwartungen aus einer PKW-Vignette werden sich ebenfalls nicht erfüllen. Der Bundesverkehrsminister geht hier von 800 Millionen Nettoeinnahmen im Jahr aus. Die Formulierung im Koalitionsvertrag – eine Einführung ohne Mehrbelastung deutscher PKW im Einklang mit EU-Recht – wiederspricht bereits in sich dem EU-Gleichbehandlungsgrundsatz. Selbst wenn die Quadratur des Kreises gelänge und eine rechtskonforme Ausgestaltung möglich wäre, sind die Einnahmeerwartungen viel zu hoch. Laut einem Gutachten des Münchner Verkehrswissenschaftlers Ralf Ratzenberger werden den jährlichen Ausgaben für die Maut-Erhebung in Höhe von 300 Millionen Euro nur Jahreseinnahmen von 262 Millionen gegenüberstehen. Die Maut wäre so also sogar ein Verlustgeschäft.

Offen und im Koalitionsvertrag nicht geklärt ist, ob die zusätzlichen Einnahmen aus der Maut verkehrsträgerübergreifend für die Infrastruktur eingesetzt werden sollen, oder allein im System Straße verbleiben. Letzteres wäre aus ökologischer Sicht fatal. Es kann nicht sein, dass die Nutzerfinanzierung der Straße deren weiteren Ausbau fördert und Alternativen wie der Schienenverkehr und die Binnenschifffahrt vernachlässigt werden.

Was unter dem Strich bleibt

Zusammengefasst beträgt der Finanzierungsbedarf für den Bund also 4 Milliarden im Jahr, von denen ab frühestens 2016 2,3 Milliarden durch die Mautausweitung seriös gegenfinanziert sind. Wie bis 2016 die Finanzierung überhaupt gelingt bzw. ab 2016 die Lücke in Höhe von 1,7 Milliarden konkret zu füllen ist, bleibt unklar. Selbst die Einhaltung der Zusage im Finanzkapitel, jährlich 1,25 Milliarden Euro Haushaltsmittel einzustellen, ist fraglich. Der Koalitionsvertrag enthält viele teure derartige Zusagen (Mütterrente, Rente 63, Betreuungsgeld, Pflege, KiTas, Hochschulen), die nach der Absage an jegliche Form der Einnahmeverbreiterung des Bundes nur durch Konjunkturgewinne oder neue Schulden finanziert werden können.

Auch Infrastrukturfinanzierung vor Ort nicht gesichert

Von besonderer Bedeutung für die Infrastrukturfinanzierung vor Ort sind „Töpfe“ wie Entflechtungsmittel, Regionalisierungsmittel, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz-Bundesprogramm sowie die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Schiene. Die Mittel dienen als Zuschüsse für Maßnahmen des Länder-Schienenverkehrs, für den kommunalen ÖPNV, Radwege und Straßen. Während die LuFV in 2014 ausläuft, sind die Entflechtungsmittel und die Regionalisierungsmittel zumindest bis zu den Verhandlungen für eine Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2019 gesichert. Wie es danach weitergehen soll, darüber schweigt sich die große Koalition aus. Es ist lediglich die Rede von einer neuen Vereinbarung, einer „verlässlichen Anschlussfinanzierung“ oder von „neuen Grundlagen“ für die Finanzierung. Was das konkret bedeutet, bleibt offen. So erscheinen Versprechungen von zusätzlichen 5 Milliarden Euro in einem neuen Licht, wenn an anderer Stelle klare Aussagen über zukünftige Finanzierungen im Verkehrsbereich vermieden werden.

Bedeutung für NRW

Allein für die notwendige Erneuerung oder Ertüchtigung der Brücken auf den Bundesfernstraßen in NRW werden in den nächsten zehn Jahren mindestens 4,5 Milliarden Euro zusätzlich benötigt. Für den Erhalt der Bundesfernstraßen (Autobahnen und Bundesstraßen) hat der Bund dem Land NRW in 2013 rund 350 Millionen Euro bereitgestellt. Diese Summe wird in den kommenden Jahren aber bei weitem nicht ausreichen, um die Fahrbahnen und vor allem die Brücken der Bundesfernstraßen im erforderlichen Maße zu ertüchtigen bzw. zu erneuern. Die Brücken sind in die Jahre gekommen und halten den extremen Belastungen durch den Schwerverkehr nicht mehr stand. In einer ersten Aktion werden deshalb seit Mitte 2011 die kritischsten etwa 800 Brücken nachgerechnet. Auch mit Blick auf den Bundesverkehrswegeplan 2015 ist also endlich eine klare Priorisierung von Infrastrukturerhalt zu Neubau notwendig, für unsinnige Straßenausbauprojekte oder Fehlplanungen (S21, BER) gibt es keinerlei Spielraum.

Im Verkehrsbereich wurde Nordrhein-Westfalen bisher augenfällig benachteiligt. Nach dem in den Bundesländern zur fairen Verteilung immer wieder angewandten Königsteiner Schlüssel (wird berechnet nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft im Ländervergleich) stehen dem Land 21,2% für Verkehrsinvestitionen zu. De facto flossen bisher aber statt der fairen Summe von 2,2 nur gut 1,7 Milliarden Euro pro Jahr aus Berlin nach Nordrhein-Westfalen. Um die Dimension deutlich zu machen: Mit diesem Fehlbetrag von mindestens 500 Millionen Euro jährlich könnten allein die maroden Rheinbrücken sofort und umfassend saniert werden. NRW ist das Transit- und Bahnland Nummer Eins. Hier werden die meisten Personen mit Bus und Bahn befördert, hier werden die meisten Güter transportiert, und hier frequentieren die meisten Fahrzeuge die Autobahnen. NRW liegt im Herzen Europas und am Schnittpunkt wichtiger europäischer Verkehrskorridore. Zukünftig muss nach Bedarf und nicht nach Himmelsrichtung verteilt werden. Leider finden sich auch dazu nur Lippenbekenntnisse im schwarz-roten Koalitionsvertrag, der bei genauer Betrachtung leider nicht hält, was er verspricht.